Heilungspraxis in Abadiânia (erste Etappe)

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Ist es wahr, dass diese Lebensphase schon da ist? Seit mehreren Monaten sprechen wir von unserer neunwöchigen Reise nach Brasilien und Peru und planen die Etappen. Anfangs schien alles noch in weiter Ferne. Und nun sitzen wir im Flugzeug nach Brasilien. Seit den letzten Tagen vor unserer Abreise folgen viele verschiedene Bilder und Eindrücke aufeinander. Es fühlt sich an wie eine Diaschau, wo jedes Bild ein Eintauchen in eine eigene neue Episode nach sich zieht. Es sind Episoden in Zürich, im Flugzeug, im Zwischenhalt in Paris, beim Nachtflug, im nächsten Zwischenhalt in Sao Paolo und in Brasilia, die ersten Erlebnisse im neuen Land, die 1½-Stündige Taxifahrt, die Ankunft in Abadiânia  usw. Vieles folgt recht dicht aufeinander. Zum Glück dürfen wir weitgehend frei von Stress oder Spannung unterwegs sein.

Wir sind gut in Abadiânia angekommen und finden eine Ferienwohnung vor, die dem entspricht, was wir uns gewünscht haben. In unserem Quartier sehen wir Menschen, die fast alle weiss bekleidet sind. Die Stimmung fühlt sich beim Ankommen ruhig, friedlich und etwas entrückt an. Bin ich in einem Filmstudio gelandet, wo gerade ein spezieller Film gedreht wird? Nein, wir sind in der Nähe von einem spirituellen Zentrum, wo diese weisse Bekleidungsart normal ist, während anders bekleidete in deutlicher Minderheit sind.

Am nächsten Vormittag haben wir dieses spirituelle Zentrum besucht. Es handelt sich um die Casa Dom Inázio des inzwischen weltberühmt gewordenen Trance-Mediums João Teixera de Faria. Die Anhänger nennen ihn João de Deus.
Bereits schon um 7 Uhr morgens bekleiden auch wir uns in weiss begeben uns vor 8 Uhr mit vielen weiteren weiss gekleideten Menschen vor die Casa. Bei der Reception ziehen wir Hilfe bei, was wir als erstmalige Besucher zu tun haben. Die ruhige und selbstverständlich wirkende Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter oder Volontäre fällt mir auf. Eine Person fragt nach meinen Wünschen an die Wesenheit und notiert sie in zwei kurzen Sätzen in Portugiesisch auf einen Zettel. Dann werden wir aufgefordert, im Bücherladen eine kleine Etikette mit der Aufschrift "primera vez" (da erste Mal) zu holen, in der Vorhalle zur Casa bereit zu stehen, auf die dortigen Instruktionen zu hören und dann in die Warteschlange primera vez zu stehen. Ich bleibe für fast drei Stunden hinter dem ersten Block von Sitzbänken stehen, bis wir an der Reihe sind. Ich spüre eine dichte Energie, wie einen Druck am ganzen Oberkörper, als ob ich einige Meter unter warmem Meeresspiegel tauchen würde. Auch ein bisschen Anspannung spüre ich in mir, weil es recht viele Mitteilungen über das Heilen, über erwünschtes und unerwünschtes Verhalten und auch darüber gibt, wer sich wann in welcher Warteschlange einfinden soll. Zwischendrin werden Gebete gesprochen, die mir von meiner katholischen Erziehung vertraut sind, auch wenn ich nicht auf Brasilianisch beten kann und nicht dieser spiritualistischen Ausprägung der anglikanischen Strömung im Christentum angehöre. Viele Menschen sind da, wohl zwischen 500 und 1000. Eine Warteschlange nach der anderen wird von der kleinen Eingangstüre zur Casa verschluckt. Mich erinnert das an christliche Pilgerkirchen Europas und an Pilgertempel in Indien, wo Menschenmassen durch die Anlage durchgeleitet werden.

Schliesslich kommen auch wir in fast der letzten Warteschlange dieses Vormittags dran. Wir betreten den inneren Teil der Casa. Seitlich unseres Weges im ersten Innenraum sitzen rund 300 Personen auf Holzbänken und mit geschlossenen Augen in Meditation versunken. Um die Ecke links geht es auf João de Deus und die in ihm inkorporierte Wesenheit zu. Auf den rund 20 Metern bis zu ihm flankieren uns Menschen, die tief versunken oder schlafend wirkend in Liegesesseln sitzen. Mir wird später erklärt, dass das fortgeschrittene Trancemedien seien, die durch ihre tiefe Meditation den Heilungsprozess für João und alle Besucher unterstützen. Eine Assistentin nimmt wahr, dass ich nicht Brasilianer bin und liest der Wesenheit in João meine auf dem Zettel formulierten Wünsche vor. João wirkt ein bisschen entrückt oder verklärt, wenn er mich anschaut und mit mir spricht. Ich verstehe nichts. Mir wird erklärt, ich soll als nächstes zweimal ein Kristallbad besuchen. Ich erhalte einen Zettel mit etwas Unleserlichem drauf. Dann werde ich in den nächsten Raum mit leeren Holzbänken zu einer Stille gewiesen, die ich gemeinsam mit allen Menschen meiner Warteschlange teile. Wie lange ich dort in Stille bin, weiss ich nicht genau; wohl 15-30 Minuten. Ich fühle mich irgendwie zeitlos. Dann werden wir aufgefordert, den Raum durch eine Türe, die seitlich geöffnet wurde zu verlassen. Draussen im Freien stehen Voluntäre in mehreren Sprachen bereit, uns die nächsten Schritte zu erklären. Für mich bedeute die Aufforderung zum Kristallbett, dass ich im Bookshop zwei Einheiten Kristallbett über Mittag buchen und dann am Nachmittag in die 14 Uhr Warteschlange vor der Casa stehen soll. Es handle sich um einen Reinigungsprozess vor der physischen und/oder spirituellen Intervention. Der Zettel bedeute, dass ich in der Apotheke mit Passiflora gefüllte Kräuterkapseln kaufen und dreimal täglich einnehmen soll. Brav und geduldig mache ich mich daran, all diese Aufforderungen zu erfüllen. Mein Verhalten ist eine Mischung von Gehorchen, mich einlassen, mit der fremden Sprache und den vielen Instruktionen überfordert sein und Geduld. Die Schritte und Instruktionen zum Impfen im Inselspital in Bern sind mir ähnlich komplex vorgekommen. Hier kosten Kristallbett und Kräuterkapseln etwa 100 R$ oder 30 Euro. Für die Gelbfieber-Impfung und die Informationen in Bern habe ich 130 Franken bezahlt. Doch diese zwei Institutionen über den Preis zu vergleichen, ist schwierig und vielleicht unpassend. Über Mittag nehme ich eine Suppe ein, die von den Wesenheiten gesegnet worden sei und von der Casa gratis abgegeben wird. Menschen aus verschiedenen Ländern sitzen an Marmortischen und essen ihre Suppe. Nachher gönne ich mir in der Bäckerei nebenan noch einen Fruchtsaft und ein Gebäck. Es ist ein kleines, lustiges Abenteuer, mit dem Finger etwas auszuwählen, ohne zu wissen, was es wirklich ist. Diesmal erwische ich eine Teigrolle, die statt wie erwartet nicht eine süsse Vanillecreme enthält, sondern einen warmen, weissen Weichkäse. Schmeckt recht gut, wenn auch ungewöhnlich. Bis zum Ende meines Aufenthaltes in Abadiânia würde ich wohl all diese Gebäcke ausprobiert haben. Nachher ist es bereits Zeit, das Kristallbett zu besuchen. Im Warteraum sitzen schon mehrere Personen. Bald wird jeder zu einem Zimmer geführt und aufgefordert, sich auf das dortige Kristallbett zu legen. Das Bett ist so etwas zwischen einer Massageliege und einer Pritsche mit Matratzenauflage. Darauf liegt ein elastisches Schutzpapier, das nach jedem Besucher gewechselt wird. Ich lege mich aufs Bett. Über mir hängen sieben (?) eingefasste Kristalle an einer Reihe, jeder mit der Spitze nach unten. Durch jeden Kristall fliesst ein Licht je in einer anderen Farbe. Ich lege meine Brille weg und schliesse meine Augen. Ich tauche in tiefe Entspannung. Die Zeit vergeht wie im Flug. Mir sind keine besonderen Körperempfingungen, Emotionen oder Gedanken aus dieser Zeitphase in Erinnerung, einfach nur tiefe Entspannung. Zwei Stunden später stehe ich wieder vor der Casa und warte auf meine Warteschlange für den zweiten Durchgang. Ich warte geduldig. Irgendwie scheine ich die Instruktionen verpasst oder den entsprechenden Hinweis auf portugiesisch nicht verstanden zu haben. Jedenfalls habe ich keine passende Reihe zum erneuten Besuch der Wesenheit gefunden. Ich frage mich bei Volontären durch und entscheide, am nächsten Morgen wieder zu kommen, um dann gleich zu Beginn mit den ersten Leuten vor die Wesenheit zu gehen. Hat jetzt eine Intervention durch die Wesenheiten stattgefunden, auch wenn ich die Warteschlange verpasst habe oder muss ich mit meinem ganzen Körper vor Joao erscheinen? Fragen, was physisch und was subtil oder gar noch feiner läuft, tauchen bei mir auf. Falls die Intervention stattgefunden hat, müsste ich laut Instruktionen unverzüglich mit dem Taxi nach Hause fahren und dort mindesten 24 Stunden in vollständiger Ruhe verbringen. Nun ja, ich habe ja noch viel Zeit, all die Instruktionen, Handlungen und Wirkungsfelder besser zu erfahren und vielleicht auch zu verstehen.
Ich nutze die restliche Zeit dieses Nachmittags für Einkäufe im Supermarkt des Quartiers, um am Abend für uns alle zu kochen. Der kurze Fussweg dorthin und der Einkauf fühlen sich anstrengend an. Ich arbeite nachher noch etwa drei Stunden am Computer und kochte dann das Abendessen. Während dem Abendessen wird es mir schwindelig. Alles um mich herum scheint sich zu drehen. Ich begebe mich gleich ins Bett. Doch selbst im Bett scheint sich das Zimmer um mich zu drehen. Ich versuche, mich festzuhalten wie in einem Boot bei Sturm und fokussiere meinen Blick. Es wird mir übel, und ich muss erbrechen. Dann bessert sich mein Zustand ein bisschen, und ich kann einschlafen.
Am nächsten Morgen fühle ich mich genügend fit, um wieder vor der Casa zu stehen. Ich begebe mich mit einer der ersten Warteschlangen vor die Wesenheit und sitze dann im Raum der Stille und Intervention. Sind jetzt unsichtbare Wesen daran, an mir und allen weiteren Menschen in diesem Raum herumzudoktern? Spüre ich etwas in meinem Körper? Ich kann nur kleine, feine Veränderungen fühlen und bin nicht sicher, woher das kommt. Es gibt Leute zwischen 18 und 52 Jahren, die eine physische Intervention wählen können. Dann kann die Öffentlichkeit zuschauen, wie Joao und die Wesenheit den betreffenden Menschen behandelt. Es gibt viele Videobeiträge darüber, auch auf youtube. Ich sehe das alles jetzt nicht, da ich im Raum für spirituelle Intervention bin.
Nach einer Stillephase begeben wir uns wieder ins Freie. Volontäre erklären uns erneut, dass nun 24 Stunden absolute Ruhe angesagt sei. Wir sollen auf jegliche Anstrengung und alle Ablenkungen verzichten. Kein Lesen, keine Musik hören, nichts schreiben, keine Körperübungen, keine Unterhaltungen mit Menschen, keine Hausarbeit, nicht selber kochen, kein Sonnenbad usw., einfach nur liegen, am besten mit geschlossenen Augen in einem eher dunklen Raum. Im weiteren soll während 8 Tagen auf jegliche Anstrengung, auf Energiebehandlungen geben und auf zu viel Sonnenlicht verzichtet werden. Mehr noch: Während 40 Tagen sollen wir auf Sex und sexuelle Energie, auf Energiebehandlungen empfangen, auf schwarzen Pfeffer oder Chili in Speisen, auf befruchtete Eier und Alkohol gänzlich verzichten. Das seien alles Dinge, die unsere immer noch laufende Intervention der Wesenheiten behindern würde. Wir sollten uns deren Energiearbeit anvertrauen und voll überlassen. Der Körper werde dabei gefordert. Einzelne der erwähnten Verbote waren für mich kein Problem, während andere Verbote für mich und unsere Reisegruppe doch unangenehme Einschränkungen bedeuten. Im weiteren soll ich erneut Passiflora-Kapseln in der Apotheke kaufen und dann gleich mit dem Taxi nach Hause fahren. Das waren viele Vorgaben.
Die 24 Stunden verlaufen recht gut und schnell, weil ich mich ohnehin schon recht müde fühle und mich vom gestrigen Schwindelanfall erholen möchte. Doch selbst nach diesen 24 Stunden finde ich nicht deutlich mehr Energie. Ich bleibe auch in den Folgetagen oft in Ruhe, arbeite nur etwa 15 Minuten am Computer und gehe selten hinaus. An einem dieser Tage habe ich gar über 38 Grad Fieber. Am anspruchsvollsten fühlen sich meine Emotionen an. Hier scheint einiges in Arbeit zu sein. Ich verstehe nicht wirklich, was mit mir läuft. Vielleicht muss ich auch nichts davon verstehen. Gelegentlich schaue ich mir Videos über die Casa, über Behandlungen von Joao und über Meinungen darüber in Blogs oder Interviews an. Ich bin berührt, was alles möglich ist, von dem ich noch nichts verstehe. Es genügt mir zu erkennen, dass es mehr Gesetzmässigkeiten und Wirklichkeiten gibt, als ich mir vorstellen kann. Ich bin auch bekümmert wegen den vielen negativen Äusserungen über Joao und über geistiges Heilen generell. Was nun alles stimmt oder Wirklichkeit ist, kann ich selber nicht genau wissen und muss es auch nicht. Ich habe mich auch gefragt, welche Heilungschancen bestehen bei Leuten, die zur Casa reisen. Sind es 1 Promille, 1 Prozent, 20 Prozent oder höher? Wie würden die Menschen eine Heilung erkennen und mitteilen: Ist es dann, wenn ihr physisches oder psychisches Leiden oder ihre Behinderung verschwunden ist? Ist es, wenn sie sich glücklicher fühlen, ihr Herz mehr öffnen können und wertvollere Begegnungen mit Menschen haben?

 


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